Anna und ihr Sternchen

Ich bin schwanger!


Was bedeutet das jetzt? Macht mich das schon zur Mutter? Wer definiert, wann und in welcher Woche ich mich als Mami bezeichnen, fühlen, freuen darf?

An alle da draußen, die so schnell den Spruch über die Lippen bringen, wenn ihnen schon früh davon erzählt wird: »Schau doch mal, ob es überhaupt bleibt, bevor du dich zu fest freust …!«

Hallo??? Wie soll ich mich nicht freuen? Ich wollte doch schon so lange, dass dieser zweite Strich auf diesem unschönen, unpersönlichen Stift zum Vorschein kommt, wenn ich darüber pinkle … So viele Enttäuschungen, so viele Einbildungen, so viele kreisende Gedanken, die mich fast zum Wahnsinn trieben – und jetzt, soll ich schon wieder warten? Jetzt, da endlich dieser zweite Strich zum Vorschein kommt?

Wen wollt ihr schützen, mich oder euch? Euch, die ihr nicht wisst, wie ihr mit mir umgehen sollt, falls das eintreffen sollte, was ihr euch schon vorstellt?

Wieso sich nicht einfach jetzt in diesem Augenblick mit mir freuen, dass es endlich soweit ist? Endlich hat es »eingeschlagen«, endlich ist eine Seele bereit, zu mir zu kommen, endlich werde ich Mami, endlich, endlich, endlich …!


Ich schaue mir dieses Stäbchen immer wieder an – der Beweis für das Wundervollste, das ich mir überhaupt vorstellen kann.

Und dann lege ich meine Hände ganz sachte auf den Bauch und stelle mir vor, was jetzt da in meinem Bauch los ist. Spüre ich etwas? Fühlt sich mein Bauch anders an als sonst? Ich ertappe mich sogar, dass ich vor dem Spiegel stehe und schaue, ob schon etwas sichtbar ist.

Ach, ist das Leben schön!

Die ganze Welt könnte ich umarmen, allen ins Gesicht strahlen und mein süßes Geheimnis verkünden.


Ich will diese negativen Gedanken nicht teilen, die ihr mir immer wieder ungefragt in den Kopf pflanzen wollt.

Meine Brille ist gerade sowas von rosa – und ich will mich einfach nur freuen! Jetzt ist der Moment, JETZT! Nichts und niemand nimmt mir dieses Gefühl.


Wollt ihr wissen, wie sich das gerade anfühlt?

Wie lauwarmer Apfelstrudel mit einer kühlen Kugel Vanilleeis und ganz viel Schlagsahne! Da will man doch auch nicht daran denken, dass es eventuell Bauchschmerzen geben könnte …

Nein, man ist ganz aufgeregt, den ersten Bissen zu nehmen, um mit allen Sinnen diese Süße zu schmecken!


Sollte es doch anders kommen, als ich mir gerade wünsche, muss ich mich dann darauf einstellen. Nicht jetzt!

Ist das jetzt blauäugig von mir? Na und? Ich weiß nicht, was morgen sein wird. Ich weiß aber ganz genau, was gerade jetzt in diesem Moment ist:

Unter meinem Herzen wächst ein Kind – mein Kind.


»Liebes Baby, du hast dich auf die Reise gemacht. Eine Reise ins Ungewisse. Auch für mich ist es eine Reise. Die ersten neun Monate darf ich dir ganz nah bei mir ein Zuhause bieten, wo du dich einnisten kannst, wo du wachsen kannst, wo du ganz langsam Mensch werden kannst. Du darfst ankommen und dich wohlfühlen.

Weißt du, dass du umschlossen bist von all meinen Gefühlen und Gedanken? Ich weiß es, und ich werde darauf achten, dass du genährt, gebettet und versorgt wirst mit den schönsten, reinsten, liebevollsten Gefühlen und Gedanken, die du dir nur vorstellen kannst.

So lange habe ich auf dich gewartet … Danke, dass du endlich da bist!«


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Die Reise, die ich antrete, finde ich sooo spannend. Ich durfte mir aussuchen, was ich unbedingt einmal erleben möchte. Einzige Bedingung war: Mir bleibt dazu nicht viel Zeit.


Also treffe ich meine Auswahl sehr sorgfältig. Nicht jedes Ziel ist auch in der Lage, mir die Möglichkeit zu bieten, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich habe mich bereit erklärt, so tief und schnell wie möglich einzutauchen, alle Brücken abzubrechen und nicht zurückzuschauen. Mir wurde versichert, dass ich zum gegebenen Zeitpunkt die richtige Hilfe empfangen würde.


Ich befinde mich schon längere Zeit an einem Ort, den man als universale Gebärmutter bezeichnen könnte. Dort bereiten sich die Seelen auf ihre unterschiedlichen Reisen vor. Manchmal braucht es etwas länger, sei es von oben oder auch von unten. Doch irgendwann macht sich jeder auf seine ganz persönliche Reise mit seiner ganz speziellen Absicht.

Wie das genau abläuft, muss ich nicht wissen. Dafür wird von höchster Stelle gesorgt.


Ich darf mich entscheiden, und wenn es soweit ist, werde ich angezogen – wie ein Magnet.

Meine Entscheidung ist gefallen: Anna scheint mir genau die Richtige zu sein. Der Vertrag mit ihrer See-le, und alles, was dazu gehört, steht. Sie ist mehr als bereit.

Also wage ich den Sprung ins Ungewisse und lasse mich fallen …


Das Ankommen ist sanft, weich und äußert wohlig – soweit ich das beurteilen kann. Ich fühle mich sofort willkommen und zuhause. Hier kann ich mich ganz auf mein Vorhaben einlassen.


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Ich bin so glücklich, ich könnte schon wieder die ganze Welt umarmen! Das dürfte jedoch etwas schwierig werden, also schließe ich stattdessen, weinend vor Freude, Ben, meinen Mann, in die Arme.

Wir schauen uns immer wieder dieses kleine Bild an, welches uns vor gut 10 Minuten meine Ärztin in die Hand gedrückt hat. Wir haben es nun also schwarz auf weiß: WIR SIND SCHWANGER!


Es sei alles in Ordnung. Unglaublich! Man sieht noch kaum etwas, doch das kleine Herz schlägt schon. Als gäbe es den Takt an. Bubumm, bubumm – wachsen – bubumm, bubumm – gedeihen – bubumm, bubumm. Es schreibt gerade seine eigene Symphonie.

Wundervoll, was mein Körper endlich leisten darf. »Ein Stein wurde ins Rollen gebracht« und nun ent-faltet sich alles von alleine. Ich darf einfach ganz nah dabei sein, fühlen, spüren, beobachten und genießen!


Ben hat sich heute extra frei genommen. Wir haben also Zeit. Zeit für uns und Zeit, um einen leckeren – na, was wohl? – Apfelstrudel in einem kleinen Café in der Stadt zu genießen. Na dann mal los. Ich darf ja jetzt für zwei essen! Was für ein Klischee! Aber ich find’s trotzdem lustig.


Ich beschäftige mich ja schon einige Zyklen lang mit dem Gedanken: Wie wäre es … Was wäre, wenn …

Unter anderem habe ich mich gefragt, was ich tun könnte, wenn es dann mal soweit sein würde, um die Schwangerschaft ganz bewusst zu erleben.


Deshalb kaufe ich mir nun einige, wie mir scheinen, gute Bücher und suche mir eine Hebamme meines Vertrauens. Weshalb sollte die Hebamme erst bei der Geburt wichtig sein?

Ich sehe das so: Die Ärztin ist zuständig für das notwendig Medizinische und die Hebamme brauche ich als seelische Begleitung und Unterstützung während der Schwangerschaft.

Ben unterstützt mich darin voll und ganz. Das kann man von einigen anderen Menschen in meinem näheren Umfeld nicht gerade behaupten. Aber was soll’s, ich bin schwanger, und das kann mir keiner nehmen!


Ich bin überzeugt, dass es für die Entwicklung meines Babys wichtig ist, wie ich die Schwangerschaft erlebe. Und ich möchte es von außen so wenig wie möglich stören.

Wenn man einen Samen in die Erde pflanzt, gießt man ihn und vertraut darauf, dass daraus eine Pflanze wächst. Käme es einem in den Sinn, ständig nachzuschauen, ob er auch wächst?


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Ich liebe Anna jetzt schon. Sie bemüht sich so sehr, darauf zu achten, dass es mir gut geht und dass ich nicht gestört werde. Ich habe eine gute Wahl getroffen! Das sehe ich, wenn ich sie von außen beobachte. Ich weiß, dass ich damit aufhören muss, denn eigentlich wollte ich ja etwas anderes erleben.

Also lasse ich mich wieder zurückziehen.


Hier gibt es so vieles zu entdecken.

»Na dann mal los Anna, zeig mir, wie ich mich hier drinnen wohlfühlen und ganz ausbreiten kann!«

Ich warte, lausche und nehme wahr. Alles werde ich mir ganz fest einprägen, mitnehmen als Erfahrung. Da für mich Zeit keine Bedeutung hat, bin ich ganz hier, wo gerade so viel passiert.


Vielleicht muss ich anmerken, dass es für mich etwas schwierig ist, meine Wahrnehmung in die Worte zu fassen, die ihr versteht. Was und wie ich wahrnehme, ist eher Wissen, Sein oder Einprägung.

Wenn es meinem Körper, der in Annas Bauch wächst, gut geht und er entspannt ist, dann kann ich mich total darin ausbreiten und mich ganz auf den Moment einlassen.

Hat der Körper Stress, durch irgendwelche Einflüsse von außen oder durch Annas Gefühle, dann ist es für mich schwierig, mit dem Körper verbunden zu bleiben. Ich werde dann immer wieder herausgeschubst.

Normalerweise hätte ich mehr Zeit für die Anpassung und ich würde immer mal wieder zur universellen Gebärmutter zurückkehren, um mich davor zu schützen. So lief es jedenfalls bis jetzt jedes Mal ab.

Doch je größer mein Körper wurde, desto schwieriger war es, an diesen schützenden Ort zurückzukehren, bis es irgendwann gar nicht mehr ging und ich mich diesem Stress voll hingeben musste.


Doch meine Mission sieht dieses Mal anders aus. Ich habe die Brücken abgebrochen und kann vorübergehend nicht zurück. Also hoffe ich, dass Anna mitspielt.


Dann versuche ich mal, meine Wahrnehmung mitzuteilen.

Ich bin irgendwie in Bewegung. Es fühlt sich an, als würde ich schweben, was ich ja zur Genüge kenne, und manchmal komme ich mit etwas Weichem in Berührung. Alles ist dunkel, feucht, warm. Mein Körper vibriert und wird gewiegt.

Manchmal kommt es mir vor, als werde ich größer. An allen Seiten und Ecken zieht es. Das finde ich sehr spannend.

Hi hi, jetzt bin ich doch wirklich schon darauf reingefallen und spreche von ICH, wenn ich meinen Körper meine … Ich bin ja sowieso schon unendlich, ich passe mich einfach gerade an diesen Körper an. Und Anna hilft mir mit ihren liebevollen Gedanken sehr dabei, dass das auch wunderbar gelingt.


Wenn mein Körper schläft, ist es wieder ganz anders, als wie wenn er sich bewegt. Beim Schlafen ist alles ganz ruhig und ich kann mich auf die Geräusche im Bauch von Anna konzentrieren. Da gibt es ganz viele verschiedene, und sie sind mir schon sehr vertraut. Alles hat seinen ganz eigenen Rhythmus, lullt mich ein und gibt mir ein sicheres Gefühl.


Was macht Anna jetzt? Das fühlt sich lustig an!


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Heute ist mir danach, joggen zu gehen. Draußen ist es so schön. Die Blätter der Bäume haben sich rot und gelb gefärbt und frische Luft tut mir und meinem kleinen Sternchen ganz gut.

Wenn ich durch den Wald laufe, versuche ich die Eindrücke und schönen Gefühle direkt in meinen Bauch zu meinem Baby zu schicken. Ich stelle mir dabei vor, dass meine Gebärmutter mit meinen Gefühlen durchflutet wird.

Ich lege mir auch oft die Hände auf den Bauch und stelle mir vor, dass die Wärme, welche aus meinen Handflächen strömt, direkt zu meinem Baby fließt. Ein tolles Gefühl. So kann ich ihm ganz nahe sein.

Ich habe mir in diesen sechs Wochen, seit ich weiß, dass ich schwanger bin, meine kleine Wohlfühloase geschaffen. Ich, mein Bauch und mein kleines Sternchen, welches darin strahlt.


Ich mache mir oft Gedanken darüber, wo es wohl herkommt und welche Herausforderungen auf es warten. Die erste Hürde hat es schon geschafft: Es hat seinen Weg zu mir gefunden, das ist doch schon eine große Leistung!


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Es ist so schön, was ich hier erleben darf! Noch nie war es so friedlich, nährend und wohlig. Die letzten Male, als ich Mensch wurde, waren anstrengend. Immer dieses Gefühl, nicht erwünscht zu sein, keine Beachtung zu bekommen oder meiner jeweiligen Mutter wäre es schon gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie sich mit mir während der Schwanger-schaft groß beschäftigen könnte. Vor allem in der Zeit, da sie mich von innen noch nicht spüren konnte. Was man nicht sieht oder spürt, braucht auch keine Beachtung. Ich habe sie jedenfalls nicht gespürt. Nicht so wie jetzt bei Anna.

Hier ist alles ganz anders. Sie freut sich so sehr, dass ich da bin. Sie versucht mich zu schützen, wenn sie merkt, dass es ihr nicht gut geht. Sie hat es verstanden, dass ich da bin, und das ist sehr gut!


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Heute gehe ich zum ersten Mal in ein Schwangerschaftstreffen. Ich habe mir jemanden gesucht, der in erster Linie darauf schaut, dass ich ganz schwanger sein kann. Dabei geht es um wohlfühlen, wahrnehmen und viele andere Dinge, die ich mit anderen Schwangeren erleben und austauschen kann.


Ich fühle mich sofort wohl und willkommen. Genau-so fühlt sich hoffentlich auch mein kleines Sternchen in meinem Bauch.


Wir machen eine Übung, eine Art Reise zu unserem Kind. Dabei geschieht etwas Aufregendes, was mich noch lange Zeit begleitet und mit tiefer Freude erfüllt.

Wir werden von der Kursleiterin in eine Entspan-nung geführt. Dort begeben wir uns innerlich – in unserer Vorstellung – zu einem ganz speziellen Platz, wo es uns möglich ist, unserem Kind zu begegnen. In meinem Hinterkopf ruft eine Stimme: »Ha, als ob das möglich wäre!«

Aber ich konzentriere mich wieder auf die Worte der Kursleiterin und lasse mich ganz in dieses Bild eintauchen.

Auf einer großen Wiese, welche mit tausenden von Gänseblümchen übersät ist, steht ein großer, sehr alter Baum. Seine Krone spendet herrlich Schatten und die Blätter sind von tiefstem Grün.

Die Wiese kitzelt unter meinen nackten Füßen und ich setze mich mit dem Rücken an den Stamm lehnend unter den Baum. Vögel zwitschern und irgendwo in der Ferne plätschert ein Bach.

Ich will gerade meine Augen schließen, als ich sehe, wie jemand auf mich zukommt. Neugierig beobachte ich, wie die Person näherkommt. Es ist ein junger Mann mit einem Lächeln im Gesicht. Von ihm geht ein Strahlen aus, das mich in seinen Bann zieht. Schweigend setzt er sich einfach vor mich hin und schaut mich lange nur stillschweigend an.

Ich traue mich nicht, diesen Moment zu stören, und sage auch nichts.

Nach einer mir scheinenden Ewigkeit steht er auf, gibt mir einen Kuss auf die Wange, lächelt mich noch einmal an, dreht sich um und geht wieder davon.

Als ich die Augen öffne und wieder im Kursraum sitze, ist es, als spürte ich noch immer diese Berührung auf meiner Wange.

Ich bin etwas verwirrt, denn eigentlich hatte ich die Vorstellung, ich würde (m)ein Baby sehen. Stattdessen traf ich meinen Sohn als jungen Mann.


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Ich fühle mich gerade unglaublich beflügelt. Anna hat mich einfach nur angeschaut. Sie hat diesen magischen Moment nicht zerstört, indem sie versucht hat, mich zu berühren oder mit mir zu sprechen. Sie gleichzeitig so glücklich und doch so erstaunt zu se-hen, brachte mich dazu, einfach zu schweigen und ihr die Botschaft ein anderes Mal zu überbringen.


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Wenn ich jetzt meinen Bauch streichle und mit mei-nem Sternchen spreche, stelle ich mir weiterhin das kleine Baby vor. Von der Größe her passt es einfach besser da rein als ein junger Mann! Aber, mir wurde ganz klar gezeigt, dass die Seele nicht gleich der Körper ist. So habe ich das jedenfalls aufgefasst. Viel-leicht hat er mir ja irgendwann einmal etwas zu sagen – bei einer weiteren Begegnung. Wer weiß …


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Jeden Morgen beim Aufwachen gilt mein erster Ge-danke meinem Baby. Ich sage ihm still »hallo« und stelle mir vor, wie ich mit jedem Atemzug frischen, warmen Sauerstoff zu ihm in die Gebärmutter bringe. Ich streichle und kitzle ihn mit meinem Atem. Das ist eine schöne Vorstellung, und ich kann mich dabei wunderbar entspannen.

Das mache ich auch, wenn mein Bauch etwas angespannt ist, oder wenn ich merke, dass mich irgendetwas beschäftigt, was mir nicht guttut.


Heute ist es irgendwie schwierig. Da ist dieses Gefühl in mir, das mich nervös werden lässt. Keine Ahnung, was das soll. Es geht mir doch blendend …

Draußen ist es noch dunkel und Ben atmet ruhig neben mir auf seiner Bettseite. Also versuche ich noch einmal etwas zu schlafen.

Schon bald stecke ich in einem Traum: Da steht mein Baum inmitten der saftigen Blumenwiese. Er scheint so weit weg. Ich sehe diesen jungen Mann, meinen Sohn, wie er schon auf mich wartet unter meinem Baum. Ich möchte zu ihm eilen, komme aber irgendwie nicht vom Fleck.

Dann bin ich in einer Höhle, die hell erleuchtet ist. Woher das Licht kommt, kann ich nicht sagen, ist auch egal. Bei mir ist auch mein Sohn.

Er nimmt mich in den Arm und beginnt zu reden. Er sagt etwas von Vertrag, Aufgabe, von Liebe erleben …

»Ich wollte unbedingt einmal erleben, wie es ist, willkommen zu sein, wahrgenommen zu werden, geliebt zu werden. Und dies alles schon während der Schwangerschaft, bevor man mich überhaupt spürt. Nicht erst dann, wenn ich von innen an die Bauchwand trete, oder wenn ich schreiend darum bitte!«

Dann sehe ich einen Vertrag, den wir zusammen unterschrieben hatten. Mir würde es dadurch die Möglichkeit geben, später ein ganz besonderes Kind zu empfangen. Eines, das für sein Leben als Mensch darauf angewiesen sein wird, stressfrei durch die Schwangerschaft zu kommen.


Dann wache ich auf – verwirrt. Panisch? Nein, irgendwie ganz ruhig. Ich erinnere mich an jedes Wort aus dem Traum, jedes Bild, jede Berührung.


Meine Kursleiterin kommt mir in den Sinn. Ich werde sie anrufen und ihr von meinem Traum erzählen. Komisch … ich kenne sie ja kaum …


Ben sage ich nichts. Ich möchte ihn nicht beunruhigen. Vielleicht bilde ich mir ja alles nur ein …


Später am Tag beginnt ein Ziehen in meinem Bauch und ich habe Schmerzen, als hätte ich meine Tage …

Meine Kursleiterin kommt auf einen Tee vorbei. Allein schon ihre Anwesenheit macht mich ruhig. Ich erzähle ihr noch einmal meinen Traum.


Ich erzähle ihr auch, dass ich unglaublich traurig bin, denn ich hätte dieses Baby so gerne länger bei mir gehabt. Ich hätte so gerne gewusst, ob ich in 18 Jahren diesen jungen Mann sehen würde, wenn mich mein Sohn anschaut.

Sie ist einfach da und hört mir zu. Keine Belehrungen, kein »ich hab’s dir doch gesagt, du sollst dich noch nicht zu früh freuen«, keine leeren Worte, nur um die Stille zu füllen.

Sie ist einfach da und hört mir zu, lässt mich weinen, hält mich und meinen Schmerz aus.


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Es tut mir leid, Anna so leiden zu sehen. Ich bin nicht mehr in diesem Körper in ihrem Bauch. Ich habe mich bedankt und verabschiedet. Es war für mich eine wundervolle Erfahrung, dank diesem kleinen Körper so viel erleben, spüren und wahrnehmen zu dürfen. Meine Zeit hier ist vorbei.


Doch nun bin ich hier und sehe diesen beiden Frauen zu. Wie komme ich denn jetzt wieder zurück ins Licht? Wo sind denn die Engel, die einen abholen, wenn der Körper stirbt? Hatte man mir nicht gesagt, dass zum richtigen Zeitpunkt die richtige Hilfe da sein würde? Vielleicht hätte ich doch nicht darauf beharren sollen, dass ich auch den Rückweg alleine schaffe?

Anna kommt klar, das weiß ich. Dass sie mich noch gerne länger bei sich gehabt hätte, ist menschlich. Ihr Geist hat Angst, es gehe etwas verloren.

Ich gehe nicht verloren. Ich bin immer noch da – einfach anders.


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Ich bin so froh, dass diese Frau bei mir ist. Obwohl ich sie kaum kenne, fühle ich mich sicher und verstanden.


Sie fragt mich, ob ich mich verabschieden möchte.


Mit einer Entspannungsübung führt sie mich in die Höhle, wo ich meinen Sohn im Traum gesehen habe. Er ist noch immer da. Ich sage ihm all die Dinge, die mir gerade in den Sinn kommen: Wie schön sich das angefühlt hat, ihn in meinem Bauch zu wissen. Wie sehr ich diese Zeit genossen habe!


Dann kommt ein Lichtstrahl, hüllt ihn ein und nimmt ihn mit. Es fühlt sich richtig an. Ich bleibe noch einen Moment und komme dann mit meiner Aufmerksamkeit wieder in mein Wohnzimmer zurück.


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Jetzt sehe ich es: Durch das Licht dieser Frau, welche bei Anna sitzt, entsteht eine Lichtbrücke und ich finde den Weg zurück.


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Ich weiß es ganz sicher – er ist gegangen. Es ist so traurig und ich weine fürchterlich. Ich weine mich frei. Ich weine um alles, was ich nicht mit ihm erleben darf.

Gleichzeitig ist irgendwo tief in mir drin, noch ganz weit weg, der Hauch eines Gefühls. Dieses wird mit der Zeit stärker werden, es wird wachsen und sich ausbreiten und mir die Möglichkeit geben, eine Dankbarkeit für die Zeit zu empfinden, die ich mit meinem Sohn hatte. Eine ganz besondere, innige und von Liebe erfüllte Zeit.


Dann stehe ich auf, rufe zuerst Ben an und dann meine Ärztin.


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Diese Geschichte ist aus meinem Buch «Seelenflüstern von Herz zu Herz»

Dort schreibe ich noch mehr über das Leben und das Sterben.